Der Spiegel der katholischen Kirche

Ich wurde als 8. Kind eines katholischen Ehepaares geboren. Mein Vater wurde drei Tage vor meiner Geburt von einem amerikanischen Tiefflieger erschossen, als er für seine Familie Milch vom Bauern holte. Nun war meine Mutter, mit sieben Kindern allein, überlastet. Als ich zur Welt kam wurden somit außer meines ältesten Bruders, sieben Kinder in das erzbischhöfische Waisenhaus gebracht. Erzählen kann ich, was mir ab einem bestimmten Alter in Erinnerung blieb.

Wir Geschwister wurden im Heim getrennt, worunter ich heute noch sehr leide. Denn trotz meiner Bemühungen konnte ich meine Brüder zu einem familiären Kontakt nicht bewegen. Zu meinen Schwestern bekam ich Kontakt, aber sehr spät. Ich freue mich heute, dass ich zwei Schwestern habe. Da ich relativ klein bin (145), habe ich sehr viel Negatives von den Nonnen erfahren. Ich war immer der „Dackel“, musste mich beweisen, indem ich putzte und freute mich, wenn die Nonne mich mit meinem Namen ansprach.

Spielen und Freizeit war ein Fremdwort. Wir haben selten gespielt, vielleicht mal Sonntags ein paar Stunden. Die Sonne sahen wir fast nie, wir mussten putzen und viele Strümpfe stopfen. Wir nannten die besonders großen Löcher in den Strümpfen „Kuhlöcher“.


Das Essen bestand aus Gerichten wie Eintopf, Milchgerichte, und sonntags etwas Fleisch mit Gemüse. Es roch oft lecker aus der Küche. Wir waren immer voller Erwartung, doch jedes Mal wurden wir enttäuscht. Das gut riechende Essen war für die Nonnen! Wir Kinder konnten es nicht verstehen, warum? Die Nonnen wurden immer dicker, und wir Kinder kamen kaum zum Wachsen. Das Essen war manchmal ungenießbar, sodass es oft zum Erbrechen kam. Doch das Erbrochene musste dann immer unter Androhung von Schläge gegessen werden.

Die Hygiene war mangelhaft! Gebadet wurde nur einmal in der Woche, dann aber mit Hemd und Schlüpfer. Unterwäsche gewechselt wurde einmal in der Woche. Zahnpasta gab es nur einmal in der Woche, und zwar eine Tube für 25 Kinder. Die Kleidung wurde selten gewechselt, und wenn, dann an bevorzugte Kinder. Wir schleimten uns bei den Nonnen an, in der Hoffnung, einmal ein schönes Kleid oder Schuhe zu bekommen, Schuhe die auch passten.

Weihnachten das „christliche“ Fest. Es war Freude und Enttäuschung zugleich. Dieses eine Mal im Jahr gab es Süßes und Geschenke, doch ein paar Tage später kam die Enttäuschung, das ganze Spielzeug wurde uns wieder weggenommen und für das Nächste Jahr verwahrt.

Auf unsere Gesundheit wurde kaum geachtet. Ich erlitt mit acht Jahren einen Unfall bei dem mein rechtes Auge geschädigt wurde. Ich wurde ausgeschimpft und musste ins Bett. Die bleibende Schädigung meines Auges bereitet mir heute Schwierigkeiten.

Der Toilettengang wurde zur Quälerei, so gab es nur bestimmte Zeiten zu denen man durfte, zu anderen Zeiten wurde der Toilettengang verweigert. Konnte man es trotzdem kaum aushalten und schlich sich heimlich zur Toilette, so wurde dies mit Schlägen bestraft.

1959 mit 14 Jahren habe ich meine Ausbildung als Hausgehilfin begonnen. Wobei sich hier nicht viel änderte. So durften wir in der katholischen Ausbildungsstätte nicht raus und waren wieder eingesperrt. Mit meiner spärlichen Habe von einem Koffer heiratete ich dann 1964 meinen Mann, den ich, wenn ich es recht betrachte, außer der Liebe, geheiratet habe um dem psychischen Leiden im Waisenhaus entfliehen zu können. Eine andere Möglichkeit gab es damals nicht.

1967 kam unsere erste gemeinsame Tochter zur Welt, 1972 unsere zweite Tochter. In der Erziehung versuchte ich meinen Kindern das zu bieten was ich all die langen Jahre so ersehnte, ein zu Hause. Da mein Selbstwertgefühl weniger Null war, fiel es mir schwer, meine Kinder zu starken Persönlichkeiten zu erziehen. Alles in Allem muss ich heute sagen, wo sie selbst eigene Familien haben, das ich es gut gemacht habe.

1981 starb mein Mann, sodass ich mit meinen Kindern allein stand. Alleinerziehende Mütter waren zu der Zeit noch ein gefundenes Fressen für Menschen, die nichts Besseres zu tun hatten als Anderen das Leben schwer zu machen. So war doch die Unterdrückung vom Waisenhaus auch hier immer gegenwärtig. Man kuschte eher als mit der Faust auf den Tisch zu hauen.

Im Jahre 2001 dann stellte man mir die Diagnose Brustkrebs. Irgendwie sollte ich keine Ruhe finden. Die psychischen Belastungen und die Angst vor dem Tod begleiteten mich. Nach der glücklichen Heilung und dem Sieg gegen den Krebs, lernte ich 2002 meinen jetzigen Lebensgefährten kennen. Erst Jetzt habe ich etwas Selbstwertgefühl entwickeln können. Ein starker Partner der Höhen und Tiefen des Lebens teilt erspart unter Umständen den Gang zum Psychologen.

Obwohl ich jetzt in einer glücklichen Beziehung lebe, ist die Vergangenheit oft gegenwärtig. Die Eindrücke, Demütigungen und z. T. Misshandlungen, die ich in ihrer Vielzahl und Grausamkeit nicht einzeln benennen kann. Misshandlungen im Namen Gottes und der katholischen Kirche. Mein jetziger Gesundheitszustand ist gewissermaßen mangelhaft, ein Spiegel meiner Seele, aber auch:

Der Spiegel der katholischen Kirche.